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Facts Armeesport

Skiferien auf Staatskosten

Facts, 7. März 2002

Armeesport – Den freiwilligen Wintergebirgskurs können alle Wehrpflichtigen besuchen. Für fünf Tage Gratis-Schneeplausch gibts erst noch Sold und Erwerbsersatz.

Eine gemütliche Gruppe hat sich da in Andermatt UR zusammengefunden. Peter, im Zivilleben Schreiner, will Erfahrungen im Tourenskifahren sammeln. Lukas, ebenfalls Schreiner und nebenberuflicher Skilehrer, ist einfach gerne im Schnee. Für Matthias, Physikstudent, sind es die billigsten Ferien schlechthin. Toni, Metzgermeister, gönnt sich wieder einmal bezahlten Urlaub. Und René, Krankenpfleger, kommt aus reiner Gewohnheit.

Sie alle profitieren von einem Angebot der Schweizer Armee, das fast nur Insider kennen: vom freiwilligen Wintergebirgskurs. Zusammen mit 35 anderen «flotten, aufgestellten, jungen Männern», wie der Kommandant der Gebirgskampfschule Andermatt die 20- bis 40-jährigen Anwesenden nach dem Strammstehen beim Eintrittsrapport begrüsst.

Wer fünf Tage lang mittun will, muss weder mit alpinen Kenntnissen glänzen noch durch militärischen Ehrgeiz aufgefallen sein. Ob Soldat oder Major: Alle werden sie freundlich aufgenommen. Tourenskis, Skischuhe und was es sonst für winterliche Bergtouren braucht, gibts auf dem Waffenplatz kostenlos. Nur zwei Pflichten sind zu erfüllen: Die Teilnehmer müssen eine Woche lang den Tarnanzug tragen, und sie sind in der Armee eingeteilt. Frauen wären auch willkommen, sind in dieser Woche aber nicht mit von der Partie.

Nach dem Mittagessen in der Offizierskantine der Kaserne mischen sich die Gebirgspioniere unter die zivilen Touristen am Gemsstock. Einen Skipass um den Hals, fahren sie mit der Seilbahn ins Andermatter Skigebiet hoch – dorthin, wo Bernhard Russi in jungen Jahren an seiner Kurventechnik feilte. Bevor es die Militärs der Skilegende nachtun können, lernen sie aber zuerst bei der Lawinenausbildung, wie Verschüttete geborgen werden. Abends folgt im Schulungssaal die Theorie, was angesichts der erheblichen Lawinengefahr auf interessierte Zuhörer stösst.

So gerüstet machen sich Peter, Lukas, Matthias, Toni und René am nächsten Tag unter der Leitung von Korporal Schmid, einem Armee-Gebirgsspezialisten, zur ersten Tour auf. Von Realp gehts tausend Höhenmeter das frisch verschneite Witenwasserental zur Rotondohütte hoch. «Das ist doch viel schöner als arbeiten», wird die durchbrechende Sonne kommentiert. Eisiges Schweigen, als wenig später das Wetter umschlägt. Der kalte Wind lässt das Kursziel konkret werden: in schwierigem Gelände sicher zu überleben. Jetzt heisst das, die bewirtete SAC-Hütte ohne Umweg zu finden – was dann auch problemlos gelingt. Die Standfestigkeit wird tags darauf bei der Abfahrt zurück nach Realp geprüft, bevor sich der ganze Trupp, der Lawinengefahr im Alpenraum ausweichend, in Kleinbussen nach Dallenwil NW verschiebt, um von dort zur nächsten Hütte aufzusteigen.

Was bringt flotte, aufgestellte, junge Männer dazu, freiwillig Dienst zu leisten? Das Vertrauen in die Schweizer Landesverteidigung mag bei den Teilnehmern überdurchschnittlich ausgeprägt sein, dennoch handeln sie nicht unbedingt selbstlos. Wer den Kurs besucht, profitiert. Die Übernachtungen in den SAC-Hütten, Verpflegung und Seilbahntickets übernimmt das Militär; zudem gibts Sold und Erwerbsersatz. Macht zusammen rund 300 Franken pro Tag und Person. Angestellte müssen dem Chef nur den Marschbefehl zeigen und für die Kursdauer keine Urlaubstage opfern. Selbstständige erhalten Lohnersatz. Entsprechend treu sind die Gebirgskurs-Alpinisten. Toni kommt seit 16 Jahren. Lukas hat 30 Kurse auf dem Konto. Um mit 42 Jahren nicht ausgemustert zu werden, hat er sich vor kurzem extra in die Personalreserve umteilen lassen. Für einen symbolischen Betrag von 100 Franken können zwar auch jene mitmachen, die nicht mehr dem Militär angehören; doch Sold und Erwerbsersatz entfallen. Das will sich Lukas nicht entgehen lassen. Den Rekord aber hält René mit über 60 Teilnahmen, allein letztes Jahr waren es 14 Kurse. Mehr als ein Viertel des Jahres hat der Lebenskünstler in einem freiwilligen Militärkurs verbracht; in seinem Dienstbüchlein ist mittlerweile kein Platz mehr für weitere Einträge.

Die Fortsetzung der Skiferien mit staatlichen Fördermitteln – nicht bei allen ist die Freude darüber so gross wie bei den Armeesportlern. «Militärisch bringen diese Kurse nichts», sagt Daniel Heller, Generalstabsoffizier und Geschäftsführer des Vereins Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaften. Die wenigsten Teilnehmer sind in Gebirgstruppen eingeteilt, die meisten nutzen das Wissen später für zivile Bergtouren. Heller verlangt, dass die Armee die knappen Mittel dort einsetzt, wo es der militärische Auftrag verlangt. Doch heutzutage bleibt die Waffe aus Sicherheitsgründen zu Hause. Die Armee will in erster Linie Goodwill schaffen.

Kritik am Armeesport wird auch ausserhalb des Militärs laut. Professionelle Alpinisten ärgern sich über die Konkurrenz. «Uns geht durch diese Angebote Umsatz verloren», beklagt sich Roland Tuchschmid von der Bergsteigerschule Mountain Fantasy in Flims. Wer will schon für eine geführte Woche 1150 Franken – inklusive Materialmiete bis 1400 Franken – hinblättern, wenn er für ein Angebot der Armee noch Sold und Erwerbsersatz erhält?

Die Gebirgstruppen braucht dies allerdings nicht zu beunruhigen. «Die verfügen über eine starke Lobby», sagt der Obwaldner Ständerat Hans Hess. Er ist Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission und hat ein gewichtiges Wort in der Debatte um die aktuelle Armeereform. So dürfte es den Gebirglern in der Frühlingssession Mitte März gelingen, den geplanten Abbau der Gebirgskorps von drei auf zwei zu verhindern. Bereits beim Train, den militärischen Lasttieren, haben die Lobbyisten die Abschaffung abwenden können.

So bleiben wohl auch die Gebirgskurse von der Armeereform verschont. Was den Freizeitalpinisten Peter, Matthias, Lukas, Toni und René gelegen kommt. Sie freuen sich am Schluss über ihre vertieften Lawinenkenntnisse, schwärmen vom Tiefschneefahren auf dem Gemsstock. Klar, dass die meisten wiederkommen werden: Toni hat sich für den Kurs im April eingeschrieben, René steigt schon im März wieder in die Uniform. Und damit niemand das nächste Vergnügen verpasst, werden gleich die neuen Anmeldeformulare verteilt.