Sinfonie des Geldes
Facts, 23. August 2001
Versicherungen, Banken, Autofirmen: Die Sponsoren inszenieren das Lucerne Festival als Spektakel fürs illustre Publikum.
Endlich wird wieder die Hochkultur zelebriert im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Dafür hat Jean Nouvel seinen Prunkbau schliesslich ans Seeufer geklotzt. Und auch Steuerzahler und private Geldgeber haben die 225 Millionen Franken für den extravaganten Konzertsaal nicht aufgeworfen, damit hier die Artisten von Rondo Veneziano ihren Klassik-Kitsch auftischen, das Feldspiel (Schweizer Armee) und Guggenmusiker (Fasnacht) ihr Können demonstrieren oder Billig-Orchester aus Osteuropa, die mangels Devisen nach getaner Arbeit in ihren lottrigen Bussen zu nächtigen pflegen.
Endlich treten im KKL wieder die grossen Orchester dieser Welt auf (die standesgemäss im «Palace» oder «Schweizerhof» aufgehoben sind). Vier Wochen lang, noch bis zum 15. September. So lange dauern die Internationalen Musikfestwochen (IMF), die jetzt Lucerne Festival heissen. Claudio Abbado dirigiert die Berliner Philharmoniker, Simon Rattle die Wiener, und auch die berühmten Ensembles aus Amsterdam, Chicago und Sankt Petersburg geben ihr Stelldichein. Anne-Sophie Mutter, der Geigenengel im musikalischen Universum, spielt fünfmal auf. Darauf gründet der Erfolg des Festivals: dass nirgendwo sonst so viele grosse Orchester und Musiker in so kurzer Zeit auftreten wie in der Kleinstadt am Vierwaldstättersee.
Und folglich strömt auch wieder das illustre Publikum herbei, das diesem Saal entspricht. Schon am Eröffnungsabend wird die Bühne rege von der Politprominenz benutzt, National- und Ständeräte geben sich kulturbeflissen, Peter Hess strahlt um die Wette, und auch kantonale und lokale Grössen sind anwesend, vom Stadtpräsidenten Urs W. Studer über Finanzdirektor Kurt Meyer bis zu Hans Erni, dem unverwüstlichen Künstler. Vor allem aber ist geballte Schweizer Wirtschaftskraft präsent, Rainer Gut (damals Credit Suisse, jetzt Nestlé), der extra sein crèmefarbenes Galaveston aus dem Schrank geholt hat, Fritz Gerber (Roche), etwas im Hintergrund die Vontobels und Bärs – viele Repräsentanten der Bankenwelt also, die sich besonders innig dem Kultursponsoring widmet.
Die Wirtschaftselite lässt sich den Auftritt einiges kosten. Die Sponsoren steuern diesen Sommer ein Drittel des Budgets von 18 Millionen Franken bei; der Rest entfällt auf Ticketverkäufe und Subventionen der Stadt Luzern. Klar, dass die Geldgeber dafür Gegenleistungen fordern, selbstloses Mäzenatentum ist aus der Mode gekommen. So geniessen die Sponsoren ein Vorkaufsrecht auf Tickets – pro Konzert, das sie unterstützen, 150 bis 200 Plätze. Ebenfalls zum Voraus mit Karten eindecken können sich die «Freunde des Festivals», über 300 Privatpersonen und Unternehmen, die dafür jährlich bis zu 12 000 Franken aufbringen.
Da ist es natürlich nicht verwunderlich, dass es für Normalsterbliche etwas schwierig ist, sich Zugang zu dieser schönen Musik zu verschaffen. 28 der rund 80 Veranstaltungen sind bereits ausverkauft, darunter fast alle Sinfoniekonzerte. An der Platznot vermag weder der Nouvel-Saal mit seinen 1840 Plätzen etwas zu ändern noch die Ausweitung des Programms; allein die Zahl der Sinfoniekonzerte ist seit 1997 von 15 auf 28 erhöht worden. Doch Kritik ertönt nur sehr verhalten, wer leer ausgeht, schreibt allenfalls einen Leserbrief in der «Neuen Luzerner Zeitung».
Die Sponsoren lassen es nicht bei einem Konzert für ihre Klientel bewenden. Die könnten die 280- fränkigen Tickets ja lässig aus der eigenen Tasche zahlen. So kommen die geladenen Gäste vor dem Konzert in den Genuss einer Werkeinführung durch Michael Haefliger, den Intendanten des Festivals, nachher wird ein Galadiner serviert, wobei der Dirigent und ein paar seiner Musiker Gesellschaft leisten – man soll ja nachher etwas zu erzählen haben im Freundeskreis. Nach dieser Manier verwöhnt Autoverkäufer Walter Frey seine Lexus-Kunden, Novartis hält Mediziner und Forscher bei Laune, Credit Suisse ihre Grossanleger.
Dem exklusiven Gehabe der Veranstaltung tut auch Michael Haefligers Ader für zeitgenössische Musik keinen Abbruch. Acht Uraufführungen hat er aufs Programm gesetzt, Hanspeter Kyburz und Elliott Carter als Gastkomponisten eingeladen. Und auch der Schweizer Komponist Heinz Holliger darf vier Werke spielen. Haefliger will dem Festival damit «eine eigene Identität verleihen» und nicht nur mehrheitsfähige Klänge der bekannten Orchester offerieren, die mit dem gleichen Programm durch die ganze Welt touren. Hier findet sich denn auch ein ganz anderes Publikum ein, weniger Etikette, mehr Jeans.
Unter dem weiten Dach des KKL sind die Klassengegensätze kurzzeitig aufgehoben. Am Eröffnungsabend stehen SBB-Beamte und Kleingewerbler, die günstig zu einer Karte gekommen sind, einträchtig neben der Prominenz und schlürfen ein Cüpli für 16 Franken. Im spektakulären Konzertsaal gelingt das fröhliche Nebeneinander von Gross- und Kleinbürgertum vollends: Die Akustik, die von jedem Platz aus maximalen Hörgenuss bietet, hebt alle Unterschiede auf. Nur schade, dass bereits kurz nach dem Konzertbeginn die ersten Klassikfreunde wegdösen.
Trotz Öffnung und demokratischer Beschallung: Das Festival richtet sich an einen kleinen Kreis. Zwar verkauft es rund 85 000 Karten, aber die gehen vor allem an Wiederholungstäter. Die vierwöchige Veranstaltung besuchen 21 000 Personen – etwa so viele, wie im Schnitt pro Fussballspiel des FC Basel in den Sankt-Jakob-Park pilgern.
Zum guten Einvernehmen der Musikliebhaber tragen auch die anschliessenden Festivitäten bei. Während sich die Budget-Besucher nach der Eröffnung unter das Volk mischen – das bereits freudig auf das bevorstehende Feuerwerk wartet -, werden die geladenen Gäste mit Booten zum Empfang ins Casino gebracht. Hier hat Georges Bucher, Verwaltungsratspräsident des Kursaals und Ehrenpräsident des Festivals, 400 Persönlichkeiten zu einem kalten Buffet geladen. Es treffen sich: Hotel- und Bankdirektoren, PR- und Wirtschaftsberater, Ärzte und Juristen, was halt so dazugehört zum Establishment einer Kleinstadt. Der Empfang erinnert auch ein bisschen an ein Veteranentreffen – Alt- Stadtpräsidenten, Alt-Stadtschreiber, Ehrenpräsidenten.
Noch nostalgischer geht es beim Lucerne Festival nur bei der Einladung der Alt-Bundesräte zu. Seit Mitte der Siebzigerjahre wird den «verdienten Regierungsleuten etwas Schönes geboten», wie es Stadtpräsident Studer umschreibt. Dieses Jahr ist die Wahl auf die Berliner Philharmoniker gefallen, die Ende August Brahms und Dvorák zum Besten geben werden. Dies wollen sich weder Pierre Aubert, Alphons Egli, Rudolf Friedrich noch Kurt Furgler, Arnold Koller oder Hanspeter Tschudi entgehen lassen. Erstmals als Politveteran darf auch Adolf Ogi dabei sein.
Nur die internationale Prominenz ist leider spärlich vertreten. Überhaupt sind ausländische Gäste mit einem Anteil von zehn Prozent in der Minderzahl. Selten verirrt sich ein deutscher Minister oder gar ein leibhafter Schauspieler hierher. Über dreissig Prozent des Publikums kommen aus Luzern und Umgebung, der Rest aus Basel, Bern, Zug und Zürich. «Das Festival», sagt Michael Haefliger, «hat für seine Qualität zu wenig internationale Ausstrahlung.»
Das soll sich jetzt ändern. Haefliger hat in New York und Tokio eigene PR-Büros aufgebaut, und er hofft, die intellektuelle Elite, Schriftsteller wie Wissenschaftler, nach Luzern zu locken. Zur Klatschspalten- Prominenz, die an den Salzburger Festspielen gross gefeiert wird, hält Haefliger hingegen Distanz. Dazu ist auch die Architektur des Hauses ungeeignet. Während in Salzburg die Schickeria im Scheinwerfer- und Blitzlicht vor dem Grossen Festspielhaus ihren Karossen entsteigt, fehlt in Luzern eine mediengerechte Vorfahrt für die Limousinen.
Vom kulturellen Anlass wollen schliesslich auch die Hoteliers, eine wichtige Stütze der Luzerner Gesellschaft, profitieren. Zwar sind bereits heute die meisten Fünf-Sterne-Herbergen zur Festivalzeit ausgebucht. Aber höhere Ticketkontingente sollen auch den übrigen Hotels zusätzliches Geschäft bescheren; sie hoffen, mit speziellen Arrangements internationale Kulturreisende in die Stadt zu holen. Womit Luzern wieder am Anfang der Festivalgeschichte angelangt wäre. Damals, 1938, waren die Musikfestwochen gegründet worden, um den Tourismus anzukurbeln und die Saison bis in den Herbst zu verlängern.