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Das Magazin Sturm auf Ascom

Sturm auf Ascom

Das Magazin, 5. Januar 2001

Vor fünf Jahren stieg Ernst Müller-Möhl in die verschlafene Schweizer Firma Ascom ein. Heute ist der Konzern umgebaut, die Führung ausgewechselt, die Familienstiftung will verkaufen. Ein Lehrstück über Shareholder Value, alt gegen neu, Zürich Bahnhofstrasse gegen Bern Belpstrasse.

«Liebe Mitaktionärinnen, liebe Mitaktionäre, wenn ich schon aufgerufen wurde, mich hier zu präsentieren, möchte ich das sehr gerne tun. Weil ich glaube, das schafft nur Vertrauen, dass man jemanden kennt, dass man jemanden hört, dass man jemanden sieht.» Ernst Müller-Möhl steht locker und entspannt vor dem Mikrofon im Berner Kursaal. Wir schreiben den 18. Mai 1999. In knapp vier Minuten wird der «junge, aggressive Raider», wie in die Wirtschaftszeitung «Cash» einmal nannte, den anwesenden Aktionären erklären, weshalb er über die letzten 15 Monate fast ein Fünftel der Ascom-Aktien gekauft hat: «Ich glaube, dass in dieser Ascom viel mehr schlummert, als man bis heute zum Leben erweckt hat.» Er wird versuchen, Ängste über ein rasches Zerschlagen des Konzerns zu zerstreuen: «Es ist mein Vorsatz, Ascom langfristig zu begleiten. Weil ich auch glaube, dass man dieses Potenzial nur langfristig realisieren kann.» Unter freundlichem Applaus geht er ab. Und wird darauf in den Verwaltungsrat gewählt, «mit gutem Mehr, bei beachtlicher Anzahl Gegenstimmen und Enthaltungen», wie der Sitzungsleiter festhält.

Ein Jahr später stürzt der Investor mit einer Cessna 152 über dem Gotthard ab, allein unterwegs von Fehraltorf nach Locarno-Magadino, angeblich in Sachen Ascom. Am Engagement beim Berner Industriekonzern ändert sich nichts, seither sind es seine Alleinerben, Ehefrau Carolina Müller-Möhl und ihr Sohn Elias, sowie sein Geschäftspartner Peter Wick, die Ascom begleiten. Wenngleich Begleiten ein zu schwaches Wort ist für die Veränderungen, auf die die Müller-Möhls in der Zwischenzeit bei der Ascom gedrängt haben. Das Traditionsunternehmen wird radikal umgebaut, Monat für Monat dringen neue Meldungen an die Öffentlichkeit: Ein neuer Verwaltungsratspräsident ist eingesetzt, der Konzernchef ausgewechselt worden, ein Drittel des Umsatzes wird verkauft, darunter das defizitäre Kerngeschäft Telefonapparate.

Weltweit fallen dem Umbau 1100 der rund 10 000 Stellen zum Opfer. Beim Ascom-Personal regt sich wenig Widerstand. Einzig die Delegation einer französischen Tochtergesellschaft reiste im Dezember nach Bern, um gegen den geplanten Verkauf zu protestieren. In der Schweiz, wo immerhin 400 Stellen abgebaut werden sollen, sind bisher einzig Gewerkschaftsfunktionäre auf die Strasse gegangen, die Belegschaft liess sich nicht mobilisieren.

Ascom ist nicht die erste Schweizer Firma, die nach den Wünschen von Investoren umgekrempelt wird, um den Wert der Aktien zu heben. Mit seinem Angriff auf die Bankgesellschaft hatte Martin Ebner – bei dem Ernst Müller-Möhl das Handwerk in den Achtzigerjahren gelernt hatte – den Begriff des Shareholder Values ins schweizerische Vokabular eingeführt; seine späteren Attacken auf die Winterthur-Versicherungen, Alusuisse und Roche haben sein Image des frechen Aktionärs gefestigt. Was den Fall Ascom aber einzigartig macht, ist das schulbuchmässige Vorgehen von Müller-Möhl und seinen Erben, die modellhafte Dramaturgie, der ihre Machtübernahme folgt. Hier lässt sich zeigen, welche Hürden hungrige Finanzakteure zu meistern haben, mit wem sie sich verbünden, zu welchen Tricks sie greifen.

Lukrativ war der Angriff auf Ascom nicht, zumindest bis heute nicht. Seit ihrem Höchststand im März 2000 haben die Aktien über drei Viertel an Wert verloren. Das Unternehmen ist ins Trudeln geraten: Die liquiden Mittel werden bedrohlich knapp, die Verschuldung steigt, und die Finanzanalysten überbieten sich mit Verlustprognosen.

«Anfänglich war es eine reine Schönwetterübung», meint Heinrich Steinmann, Präsident der Hasler-Stiftung, der von Ernst Müller-Möhl stark unter Druck gesetzt worden war. «Wenn die Kurse über Monate in die Höhe klettern, dann kann ein Investor gar nicht fehlgehen. Jetzt hat der Markt gedreht, jetzt sitzt Frau Müller-Möhl auf einem grossen Aktienpaket und muss Kursverluste hinnehmen, wie übrigens unsere Stiftung auch. Das ist doch bis heute die Quintessenz.» Man könne froh sein, wenn es nicht noch schlechter komme. Obwohl die neue Geschäftsleitung nach dem Geschmack der Investoren besetzt worden sei, seither restrukturiert und reorganisiert werde, weise Ascom das schlechteste Resultat aller Zeiten aus. «Ich könnte mich freuen, dass meine Prognosen eingetroffen sind, aber als Verwaltungsrat und Vertreter eines grossen Aktienpakets bin ich enttäuscht und ärgere mich.»

Auch Ernst Müller-Möhl sollte Recht behalten: Es braucht viel Zeit, um den Schatz der Ascom zu heben. Wohl deshalb geben sich die heutigen Angreifer aus Zürich erstaunlich gelassen. Unter dem alten Management, mit der alten Organisation wäre alles noch viel schlimmer, kontern sie. Erst heute, meinen sie, kommen die Altlasten der Vorgänger ans Licht.

Der smarte Banker: Peter Wick

Raider haben gemeinhin einen schlechten Ruf. In der Schweiz gilt der gescheiterte Financier Werner K. Rey als abschreckendes Beispiel, in den USA haben Michael Milken und Carl Icahn an den Finanzmärkten mit ihren Firmenangriffen Angst und Schrecken verbreitet. Doch Peter Wick hat damit keine Berührungsängste; er ist Partner der von Ernst Müller-Möhl aufgebauten A&A Actienbank und vertritt dessen Erben im Verwaltungsrat der Ascom. «Ein Raider nimmt eigenes Geld in die Hand, er ist freier, hat, anders als Pensionskassen, keine Anlageregeln zu befolgen. Er ist meist kurzfristig orientiert und oft mit Schulden finanziert. Das macht ihn weniger berechenbar, gefährlicher, aber auch erfolgreicher.» Vom Raider unterscheidet Wick den aktiven Investor. «Dieser verfolgt eine langfristig angelegte Strategie, arbeitet mit dem Management zusammen. Ein aktiver Investor braucht Zeit, um auf ein Unternehmen Einfluss zu nehmen und so eine Wertsteigerung zu erreichen, deshalb ist er auch schuldenfrei.»

Peter Wick, 1958 in Solothurn geboren, mit einem Anwaltsstudium in Genf und New York sowie einem MBA an der Harvard Business School, referiert sicher über das Wesen von Raidern und aktiven Investoren. Bloss über sein aktuelles Mandat im Verwaltungsrat der Ascom kann der Banker leider keine Auskunft geben. Das hat er schon zu Beginn des Gesprächs klar gemacht – obschon er im Gremium als Antreiber gilt, als äusserst aktiv und engagiert, ein Ideenlieferant und Schnelldenker. Gleich bei der ersten Sitzung, an der Wick teilnahm, wurde ein Papier verabschiedet, das es den Verwaltungsräten untersagt, mit Medien über Ascom zu sprechen; ausgenommen ist nur der Präsident. Er selbst bezeichnet den Beschluss als «Lex Wick», womit verhindert werden soll, dass er Auseinandersetzungen über den Kurs der Firma über die Medien austrägt. Völlig abwegig sind solche Ängste nicht: Mit dieser Strategie sind Müller-Möhl und seine Erben in der Vergangenheit nicht schlecht gefahren.

Ernst Müller-Möhl hatte seit langem ein Auge auf die Ascom, genauer seit Ende der Achtzigerjahre, als er für Martin Ebners BZ-Bank nach Investitionsobjekten Ausschau hielt. «Er sah grosse Wachstumschancen», erinnert sich Peter Wick, damals Assistent von Müller-Möhl, «und war fasziniert vom Knowhow von Tausenden Ingenieuren der besten Hochschulen. Ascom war Hoflieferant der PTT, und eine reiche Firma dazu.» Es herrschte Aufbruchstimmung, der Aktienkurs notierte auf Höchstwerten – also kein lohnendes Objekt für Investoren.

In den Neunzigerjahren rutschte Ascom in die Krise, aus Gewinnen wurden Verluste. Der Konzern litt unter der Abhängigkeit von Bundesaufträgen und darunter, dass der Zusammenschluss von Hasler, Autophon und Zellweger von 1987 nie umgesetzt worden war. Grabenkämpfe, Doppelspurigkeiten waren die Folge. Mit dem Erwerb der amerikanischen Timeplex kam ein millionenteures Abenteuer hinzu. In der Folge vernachlässigten die Investoren die Ascom-Aktien, bis 1998 hatten sie 80 Prozent ihres Wertes verloren. Für aktive Investoren war nun der Moment gekommen.

Anfang des Jahres startete der Angriff auf Ascom. Müller-Möhl begann, Aktien zu kaufen, zuerst vorsichtig, dann immer rascher und ausschliesslich mit privatem Geld; Wick unterstützte ihn mit seinen Analysen. Erste Gerüchte über die Offensive machten im März die Runde, Ende Juli gab der Investor bekannt, 7,5 Prozent der Stimmen von Ascom zu besitzen; laut Schweizer Börsengesetz ist zur Offenlegung verpflichtet, wer mehr als 5 Prozent hält. Der Börsenkurs zog darauf an, Müller-Möhl kaufte weiter. Dass er nicht beabsichtigte, die Titel einfach rasch wieder mit Gewinn abzustossen, machte der Investor im November 1998 klar. Als er über 10 Prozent der Stimmen verfügte, meldete er sein Interesse an einem Sitz im Verwaltungsrat an.

Nach Wicks Beschreibung war Müller-Möhl sowohl aktiver Investor als auch Raider. Er hat die Ascom-Aktien nicht vorschnell verkauft, aber er wählte eine überaus risikoreiche Strategie. Von einer Diversifizierung des Risikos – sonst ein Gebot in der Finanzbranche -, hielt er nichts, er steckte einen Grossteil seines Vermögens in ein einziges Unternehmen. Beim Höhepunkt seiner Offensive waren rund 30 Prozent der Ascom-Aktien in seiner Hand, wofür er gut 250 Millionen Franken eingesetzt hatte. Müller-Möhl hat dabei nicht den ganzen Betrag vom Ersparten genommen, er hat sich auch verschuldet. Im Finanzjargon heisst dies Leverage und meint den Hebel, um den sich Gewinn oder Verlust, je nach Ausgang der Wette, vervielfachen lassen. Das Investment nahm seinen Lauf, auf die Ascom warteten unruhige Zeiten. «Jeder Raider ist unangenehm», meint Wick, «weil er die Schwächen des Managements schonungslos aufdeckt.»

Die tapfere Witwe: Carolina Müller-Möhl

Ob Ernst Müller-Möhl eher Raider oder langfristiger Investor war, darüber wird vielleicht schon bald ein Buch Auskunft geben. Ehefrau Carolina ist mit dem Journalisten Karl Lüond im Gespräch über eine Biografie. «Ich finde, dass mein Mann ein sehr mutiger Mensch gewesen ist. Diesen Mut hat er aus sich selbst geschöpft. Ich halte es für spannend, wenn andere Leute aus seiner Biografie Kraft schöpfen können, um damit vielleicht ihre eigenen Ideen und Träume zu verwirklichen.»

Die 33-jährige Politologin und allein erziehende Mutter Carolina Müller-Möhl hat sich inspirieren lassen. Schon kurz nach dem Tod ihres Mannes fasst die «tapfere Witwe» («Blick») ihr inzwischen auf 700 Millionen Franken geschätztes Erbe in der Müller-Möhl Group zusammen und setzt Frank Gulich als Geschäftsführer ein. Auch ihr Leben richtet sie neu aus: Als Verwaltungsratspräsidentin der Finanzgruppe geht sie seither täglich in ihr Büro am Zürcher Weinplatz, in dem schon ihr Mann sass und den Blick über das Grossmünster, die Limmat bis zu den Glarner Alpen schweifen liess.

Mit vergleichbarem Engagement wie ihr verstorbener Ehemann will sie seitdem auch die Beteiligung an Ascom weiterführen. Obschon sie das Risiko inzwischen begrenzt, indem sie den Aktienanteil von einst 30 auf gegen 20 Prozent reduziert hat, will sie aktive Minderheitsaktionärin bleiben. «Wo ich investiert bin, möchte die Müller-Möhl Group eine aktive Rolle spielen.» Für Ascom heisst das: «Wir wollen Einfluss nehmen bei der Wahl des Topmanagements, bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrates und in strategischen Fragen.»

Dazu reicht ein einzelner Sitz im Verwaltungsrat nicht aus. Es geht darum, das Gewicht auch an Generalversammlungen ausspielen zu können. Auf Grund der Kapitalstruktur war dies nicht möglich. Die Mehrheit der Ascom war fest in der Hand der Hasler-Stiftung, die Gustav Adolf Hasler 1948 ins Leben gerufen hatte. Der Firmengründer wollte damit sein Lebenswerk über seinen Tod hinaus dem Zugriff fremder Kräfte entziehen. So konnte die Stiftung mit nur 22 Prozent Kapitalanteil 54 Prozent der Stimmen kontrollieren und damit die Ascom beherrschen.

Schon früh drängte deshalb Ernst Müller-Möhl auf die Einführung der Einheitsaktie, mit der alle Aktionäre gleichgestellt sind. Anfangs formulierte er die Forderung bloss im Konjunktiv, mit der Zeit wurde der Ton schärfer. Nach unzähligen ergebnislosen Gesprächen mit der Stiftung beauftragte Müller-Möhl den Wirtschaftsanwalt Rolf Watter von der Zürcher Kanzlei Bär & Karrer. Watter, der Grossfusionen wie Novartis und UBS juristisch begleitete, sollte die Einheitsaktie auf juristischem Weg herbeiführen. Rasch hatte der kreative Anwalt eine Schwachstelle im Ascom-Reglement entdeckt, eine Passage über die Beschränkung des Stimmrechts. «Das war die Waffe, um die Festung zu stürmen», sagt Watter.

Ernst Müller-Möhl sollte die Eroberung allerdings nicht mehr erleben. Bis zu seinem Tod hielt die Stiftung stand. Erst Ehefrau Carolina gelang der Durchbruch, Anfang September lenkte die Stiftung ein. Den Ausschlag gab das Geld, rund 20 Millionen Franken: Die Stiftung wollte sich den Verlust ihrer Stimmenmehrheit teuer abkaufen lassen. Ihr Mann war in dieser Frage hart geblieben, Carolina Müller-Möhl stimmte einer Entschädigungszahlung zu, «weil wir rasch eine vertretbare Lösung wollten, denn nur so hatten wir die Chance, auf Ascom Einfluss zu nehmen.»

Sie hätte sich das Geld sparen können, meint Max Boemle, Aktienrechtsexperte und emeritierter Professor der Universität Freiburg. «Auf die Dauer lässt sich keine Firma erfolgreich gegen einen Grossaktionär  führen. Das Management braucht derart viel Energie, reibt sich auf, irgendeinmal verleidet dieser Kampf jedem.» Heute könne ein Investor jede Bastion einnehmen, vorausgesetzt, er sei finanzstark und schlitzohrig genug.

Diese Bedingungen erfüllte Ernst Müller-Möhl. Sein Vermögen wurde damals auf über eine halbe Milliarde Franken geschätzt. Und er war auch genügend schlau: So waren er und später seine Erben von Anfang an bemüht, die Position seiner Widersacher, das heisst der Stiftung und der Konzernspitze, über die Medien zu schwächen. Die Fäden der Kampagne zog Sacha Wigdorovits, ehemaliger «Blick»-Chefredaktor und nun Kommunikationsberater. Zum eigentlichen Sprachrohr wurde dabei die «Berner Zeitung» auserkoren, hier platzierte der Financier jeweils seine neuen Forderungen. Dieser Zeitung vertraute Müller-Möhl zuerst seine Ascom-Pläne an, hier pochte er erstmals resolut auf die Einführung der Einheitsaktie. Und es war die «Berner Zeitung», die ausführlich aus internen Papieren über die finanziellen Schwierigkeiten der Hasler- Stiftung zitierte. Die Zusammenarbeit spielte blendend, Ende 2000 wechselte der Leiter der Wirtschaftsredaktion zu Wigdorovits‘ PR-Agentur.

Der sture Bock: Heinrich Steinmann

Als Präsident der Hasler-Stiftung stand der heute 70-jährige Heinrich Steinmann, ehemaliger UBS- Generaldirektor und Generalstäbler, direkt in der Schusslinie von Müller-Möhl. Steinmann erinnert sich: «Da wurde aus allen Rohren gegen uns geschossen, gegen diese alten Chläuse von Bern, diese träge Stiftung, diesen sturen Bock von Steinmann.» Die Familienstiftung gab ein dankbares Ziel ab: Ihr ganzes Vermögen war an Ascom gebunden, sie war mit 46 Millionen Franken verschuldet. Um ihren Stiftungszweck erfüllen zu können – die Förderung von Forschung und Ausbildung in der Telekommunikation -, musste sie sich zusätzliches fremdes Geld beschaffen. Die einzige Einnahmequelle, Dividendengelder der Ascom, war auf Grund des schlechten Geschäftsgangs versiegt.

Im Kampf gegen die Stiftung hätten Müller-Möhl und seine Gehilfen auch zu Unterzügen gegriffen, meint Heinrich Steinmann. So wurde im August 2000 eine Schadenersatzklage über 1,2 Millionen Franken gegen ihn eingereicht. Hans-Dieter Fuchs, Ascom-Aktionär und einstiger Weggefährte von Müller-Möhl, warf Steinmann darin vor, die Schaffung der Einheitsaktie zu verzögern, wodurch er einen massiven Kursverlust erlitten habe. Steinmann ist überzeugt, dass das Umfeld von Müller-Möhl die Finger im Spiel hatte. «Die sagten sich, dieser Steinmann hat so einen harten Grind, den müssen wir mit allen Mitteln weich klopfen.» Beweisen kann er es allerdings nicht, die Investoren hatten sich stets von Fuchs‘ Aktion distanziert.

Es ist nicht das erste Mal, dass Steinmann und Müller-Möhl aneinander gerieten. Der Financier war 1996 über seine Tochtergesellschaft BB Industrie beim Winterthurer Industriekonzern Rieter eingestiegen und verlangte, zwecks Wertsteigerung, dessen Aufspaltung. Als Präsident des Rieter-Verwaltungsrates stemmte sich Steinmann dagegen, in der Folge stockte Müller-Möhl seine Beteiligung auf 30 Prozent auf, für Steinmann wurde es ungemütlich. So ging er zum Gegenangriff über, als der Aktienkurs von Müller-Möhls BB Industrie zur Schwäche neigte. «Ich sagte mir, wir kaufen diese etwas wacklige BBI auf. Und wissen Sie wie? Über Martin Ebner, er kaufte in unserem Auftrag BBI-Aktien, das ging alles telefonisch, ohne Vertrag. Ebner hat mir immer gefallen, weil er sich blitzschnell entschliessen kann.» Als Rieter einen dominanten Stimmenanteil an der BBI besass, gab Müller-Möhl sein Vorhaben auf und, die Aktienpakete wurden getauscht.

Wie bei Rieter hat Steinmann den Zürcher Financier auch bei Ascom zuerst als Raider erlebt. «Als er ein grosses Paket hatte, kam er zu mir und sagte, er wolle zusammen mit der Hasler-Stiftung die Ascom umbauen. Er hatte eine klare Idee, wollte die Firma neu ordnen, ein paar Bereiche anders gruppieren, den Rest verkaufen. Er erwartete einen Gewinn von mehreren Hundert Millionen Franken und hätte sich anschliessend wieder verabschieden können.» Doch Steinmann hat ihn auch von einer anderen Seite erlebt. «Müller-Möhl sah sich als Wirtschaftsführer, als Erneuerer des Schweizer Industriesektors, leider wurde er nur als Raider wahrgenommen.»

Seine Erben sind daran, dieses Bild zu korrigieren und halten am Ascom-Engagement fest. Stattdessen will nun die Stiftung aussteigen, und zwar vollständig; gegenwärtig hält sie noch 17 Prozent der Aktien, was beim aktuellen Kurs rund 120 Millionen Franken entspricht. Dieses Vermögen will Steinmann Gewinn bringender anlegen, um mit den Erträgen Forschungsprojekte und junge Telecom-Unternehmen zu fördern, wie es das Stiftungsreglement vorschreibt. Der Passus im Stiftungsstatut, der die Kontrolle über Ascom verlangt hatte, ist gestrichen worden.

Das letzte Gefecht: Hans-Ulrich Schroeder

In der Zwischenzeit war mit Fred Rüssli ein neuer Verwaltungsratspräsident im Amt, Peter Wick konnte seine Ideen im Verwaltungsrat einbringen, die Einheitsaktie war eingeführt – die Erben Müller-Möhls waren fast am Ziel. Jetzt brauchte es nur noch den richtigen Mann an der Konzernspitze, der Ascom gemäss ihrer Strategie führen würde. Die Zeit von Hans-Ulrich Schroeder war abgelaufen; der heute 60-Jährige war 1995 als Sanierer nach Bern gerufen worden, «ein Macher für Ascom» hatte der «Bund» damals getitelt.

Sein erster Kontakt mit Müller-Möhl ist Schroeder in durchaus guter Erinnerung geblieben. 1998 hatte der Financier das Gespräch mit der Geschäftsleitung gesucht. «Wir haben einen Morgen lang diskutiert, ihm erklärt, was wir machen, wie es weitergeht. Er hat gesagt, alles bestens, und hat danach weitere Aktien dazugekauft.» Ein Jahr später setzte Müller-Möhl Druck auf, über die Medien wurde Kritik an Schroeders Führungsstil gestreut, man stellte ihn als Machtmenschen dar, der keine Widerrede duldet. Die Kampagne orchestrierte auch diesmal Sacha Wigdorovits, bevorzugtes Organ war wiederum die «Berner Zeitung». So fragte das Blatt nach dem Abgang von zwei Konzernleitungsmitgliedern Ende Oktober 1999: «Mussten da etwa gar die Falschen die Konsequenzen ziehen?» Im Februar darauf berichtet die Zeitung unter dem Titel «Schroeders Stuhl wackelt» von einem Konflikt mit dem Verwaltungsratspräsidenten. Stets waren die Artikel mit brisanten Insiderinformationen angereichert.

Dem Druck der «verleumderischen Pressekampagnen von helvetischen Revolverblättern», wie sich Schroeder einmal ausdrückte, kann er letztlich nicht standhalten. «Irgendwann bringt es nichts mehr», erklärt er rückblickend. «Wenn man laufend in Auseinandersetzungen verwickelt wird, so ist das für das operative Geschäft hinderlich.» Am 12. Dezember 2000 kündigt Schroeder offiziell seinen Rücktritt an. Dass die Aktien in der Folge um 10 Prozent einbrechen, wird ihn kaum gefreut haben. Grund der heftigen Reaktion war nicht der Führungswechsel, sondern die gleichzeitig verbreitete Warnung, wonach der Gewinn deutlich unter dem Vorjahr liegen werde. Die Zürcher Hauptaktionäre geben sich mit Schroeders Rücktritt als Konzernchef allerdings noch nicht zufrieden, sie fordern auch sein Ausscheiden aus dem Ascom-Verwaltungsrat. Als er nicht einwilligt, drohen sie, ihn an der nächsten Generalversammlung abzuwählen. Um diese öffentliche Demütigung zu vermeiden, gibt Schroeder schliesslich auch dieses Amt auf.

Noch ein halbes Jahr später kann Hans-Ulrich Schroeder seine Verbitterung über die Art und Weise, wie er das Feld räumen musste, nicht verbergen: «Nun wird die Ascom vom reinen Shareholder-Value-Prinzip beherrscht», zieht er an der Generalversammlung 2001, seinem letzten offiziellen Auftritt, kritisch Bilanz. Er habe nichts gegen den Shareholder Value, «aber ich habe etwas gegen die Alleinherrschaft, mit der dieses Prinzip in gewissen Kreisen dogmatisch zelebriert wird. Weil reines Shareholder-Value-Denken sehr negative menschliche Eigenschaften fördert: nämlich Raffgier und rücksichtslosen Egoismus.»

Der willige Vollstrecker: Urs Fischer

Im Februar 2001 kann sich Urs Fischer ans Werk machen. Im Sinn der Müller-Möhl-Erben, die seither stets betonen, den 42-Jährigen eingesetzt zu haben. Den ersten Kontakt zu Fischer knüpften jedoch nicht sie.

Ausgerechnet Hans-Ulrich Schroeder wurde vorausgeschickt, um Fischer den Job als Ascom-Chef anzubieten – ein ungewöhnliches Vorgehen und eine erniedrigende Aufgabe für einen, der zum Ausscheiden gedrängt wurde. Doch die beiden kannten sich aus dem Vorstand der Protelecom, einem Interessenverband der Schweizer Telecomindustrie, und so konnte Schroeder ein unverbindliches Gespräch einfädeln, bei einem Abendessen im Restaurant «Schützenhaus» in Basel.

Fischer sieht sich als Pilot in heikler Mission. «Es ist, als hätte ich im Flug den Steuerknüppel übernommen über einen Flieger, der mit wenig Kerosin sprich Finanzen mit starkem konjunkturellem Gegenwind kämpft und der dringend ein neues Design benötigt.» Deshalb fakelte er nicht lange, kurz nach seinem Stellenantritt ersetzte er einen Grossteil des oberen Kaders, straffte die Organisation. «Ich habe weder den Willen noch die Fähigkeit, den Turnaround dieses Konzerns alleine zu vollbringen. Ich kann das nur mit einem starken Team.» Gemeinsam soll die Ascom auf wenige, dafür längerfristig Gewinn bringende Divisionen ausgerichtet werden. Klingt wie das Echo von Peter Wick und Carolina Müller-Möhl, die die gleichen Forderungen erheben und mit denen sich Fischer regelmässig trifft. Doch der neue Ascom-Chef wehrt sich, der verlängerte Arm gewisser Investoren zu sein. «Ich sehe mich nicht als Interessenvertreter einzelner Aktionäre, ich will das operative Geschäft zusammen mit einem aktiven Verwaltungsrat zum Erfolg führen.»

Die Zürcher Financiers haben damit ihr Ziel erreicht. Mit ihrer Beteiligung und ihrem taktischen Geschick bestimmen sie den Kurs der Ascom, die Mehrheit der Firma brauchen sie dazu nicht. Das wäre auch zu teuer, denn das Börsengesetz zwingt Investoren, die im Besitz von einem Drittel einer Firma sind, den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot zu machen.

Bloss der finanzielle Erfolg bleibt vorderhand aus. Fischer wird für sein erstes Jahr einen Verlust von über 200 Millionen Franken ausweisen; vorsichtige Finanzanalysten rechnen mit dem Doppelten. So konsequent die aktiven Investoren bei ihrem Angriff auf Ascom vorgegangen sind – Aktionärsnutzen haben sie mit ihrer Strategie bis heute nicht geschaffen. Kurz vor Weihnachten notierte die Aktie bei 30 Franken. Ernst Müller- Möhl hatte damals bei 40 Franken zum Angriff angesetzt.