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NZZ Folio Recycling Report

Der grosse Recycling-Report

NZZ Folio, Juli 2009

Abfälle sind Rohstoffe am falschen Ort. Der Versuch, sie wiederzuverwerten, hat uns eine neue Industrie beschert. Wir erklären Ihnen, was mit der Bierdose geschieht, nachdem Sie sie in den ­Container geworfen haben – und ob Sie damit wirklich zum Umweltschützer geworden sind.

Jan Groothoff war zufrieden, als er vor vier Jahren die Grube Elbisgraben oberhalb von Liestal im Baselbieter Jura untersuchte. Die Konzentration an Metallen, so zeigten Tests, war bis fünfmal höher als bei natürlichen Vorkommen. Nachdem der niederländische Bergwerkingenieur die nötigen Bewilligungen erhalten hatte, liess er die Maschinen auffahren und begann die Bodenschätze abzubauen. Nach vier Monaten hatte Groothoff mit seinen Männern 4300 Tonnen Eisen, Aluminium, Kupfer und andere Metalle extrahiert, darunter auch Gold und Platin.

Der Elbisgraben ist keine gewöhnliche Mine, sondern eine Abfalldeponie. Zwischen 1995 und 2005 wurde dort die Schlacke aus der Verbrennungsanlage von Basel deponiert. Und darin fand Groothoff genügend metallische Reste, dass sich der Abbau lohnte.

Abfälle sind Rohstoffe am falschen Ort. Recycling soll sie an den richtigen Ort bringen. Die Pflicht zur Abfallverwertung ist in der Schweiz seit 1985 gesetzlich verankert. Zuvor war der sorglose Umgang mit Abfall in die Kritik geraten. Der 1972 veröffentlichte Bericht «Die Grenzen des Wachstums» des Club of Rome hatte dazu genauso beigetragen wie jene 41 Giftfässer, die nach der Dioxinkatastrophe von Seveso aus Italien verschwanden und schliesslich auf einem Schlachthof im nordfranzösischen Anguilcourt-le-Sart wieder auftauchten.

In der Schweiz blieb die Situation bis in die 1980er Jahre «schrecklich», sagt Hans-Peter Fahrni vom Bundesamt für Umwelt (Bafu). «Siedlungsabfälle wurden irgendwo deponiert, ohne dass man die Wertstoffe trennte, Sonderabfälle landeten unbehandelt auf Deponien, und ein Teil der Kehrichtverbrennungsanlagen waren bessere Gartencheminées.» Hunderte von nicht oder nur schlecht kontrollierten Gruben drohten das Grundwasser zu verschmutzen, die Abfallverbrennung belastete die Luft mit Dioxin, Salzsäure und Schwermetallen.

25 Jahre und 35 Verordnungen und Richtlinien des Bundes zum Abfallwesen später hat sich einiges geändert: Heute wird über die Hälfte des Abfalls wiederverwertet, 1984 war es bloss ein knapper Viertel. Kehrichtsäcke landen keine mehr auf Deponien, seit 2000 muss Haushaltabfall verbrannt werden. Ein Teil des Stroms, der entsteht, wenn in Verbrennungsanlagen Pizzaschachteln, Plasticsäcke und alte Matratzen verbrannt werden, trägt ironischerweise das Umweltlabel «naturmade». Und die Abteilung, die Hans-Peter Fahrni beim Bafu leitet, ist im Jahr 2005 von «Abfall» in «Abfall und Rohstoffe» umbenannt worden.

An einem Punkt vermochten diese Fortschritte aber nichts zu ändern: Die Abfallmenge wächst Jahr für Jahr, gegenüber 1984 um 40 Prozent, was ziemlich genau dem Wirtschaftswachstum entspricht. 5,5 Millionen Tonnen fallen in der Schweiz jedes Jahr an – jede Sekunde 174 Kilogramm. Das ergibt pro Person und Jahr 709 Kilogramm. Die Hälfte davon wird rezykliert. Die Kosten, diesen Abfall einzusammeln, zu zerlegen und aufzubereiten, werden durch den Erlös der wiederverwerteten Stoffe nicht gedeckt. Heute bezahlt, wer seinen Abfall los­ werden will. Früher, als Lumpensammler unterwegs waren und als es noch einen Mangel an Rohstoffen gab, war das anders. Inzwischen hat sich der Bergbau zu einer gigantischen und effizienten Industrie entwickelt, was zu tiefen Rohstoffpreisen führte. Die Minenarbeiter in China arbeiten zu einem Bruchteil des Lohns der Recyclisten in der Schweiz, wie die Spezialisten für Wiederverwertung nach der dreijährigen Berufslehre offiziell heissen. Unsere gesammelten Blechdosen oder PET-Flaschen sind deshalb nicht wettbewerbsfähig gegenüber Material, das aus primären Rohstoffen wie Erz oder Erdöl hergestellt wird.

Eine Tonne PET einzusammeln und aufzubereiten zum Beispiel, kostet in der Schweiz über 700 Franken. Selbst zu den letztjährigen Höchstpreisen hat sein Verkauf aber nur einen Drittel davon wieder eingespielt. Es wäre also billiger, den Verpackungskunststoff zusammen mit dem Haushaltabfall zu verbrennen. Doch das stimmt nur bei kurzfristiger Betrachtung. Dass uns die Rohstoffe irgendeinmal ausgehen werden, wenn wir sie nicht wiederverwerten, ist nur einer von vielen Faktoren, die dabei unberücksichtigt bleiben.

Der Horizont betriebswirtschaftlicher Berechnungen ist zeitlich kürzer und geographisch kleinräumiger als die Betrachtung der ökologischen Folgen. Im Preis für einen Liter Erdöl, das zum Beispiel für die Herstellung von PET verwendet wird, sind zwar die Kosten für den Bohrturm, die Aufbereitung in der Raffinerie und den Transport im Tanklastwagen enthalten. Nicht berücksichtigt werden aber die Auswirkungen aufs Klima, die beim Verbrennen entstehen, und auch nicht die Ertragseinbussen der Landwirtschaft, die sich daraus ergeben können. Hier handelt es sich um sogenannte externe Kosten, Kosten, die der Verursacher der Allgemeinheit überwälzt, tote Winkel des Marktes sozusagen. An dieser Stelle greift der Staat mit seiner Umweltschutzpolitik ein.

Weil es eigentlich nicht rentiert, Alu, PET oder Glas separat zu sammeln, werden sich Private hüten, ins Recyclinggeschäft einzusteigen – es sei denn, man hilft bei der Finanzierung etwas nach. In der Schweiz bezahlt man deshalb in vielen Fällen schon beim Kauf zukünftigen Abfalls für seine Entsorgung und Wiederverwertung. Bei Glas­flaschen beträgt diese vorgezogene Entsorgungsgebühr je nach Grösse zwischen 2 und 6 Rappen. So viel entrichten Glashersteller und Getränkehändler für jede Flasche, die sie in Umlauf bringen, an Vetroswiss, eine vom Bund beauftragte Recyclingorganisation. Bei 800 Millionen Flaschen pro Jahr kommen so 30 Millionen Franken zusammen, wovon die Gemeinden 100 Franken pro Tonne für das Einsammeln erhalten. Mit dem Geld wird auch Propaganda betrieben, und jährlich werden 500 Liter Maschinenspritzlack gekauft, um die Glascontainer der Gemeinden frisch zu streichen.

Nach dem gleichen Prinzip wird das Recycling anderer Stoffe finanziert. Einzig die Gebühren variieren: von Aluminium- und Stahlblechbüchsen (1 Rappen), über PET (1,8 Rappen) bis zu Batterien (je nach Grösse zwischen 5 und 20 Rappen). Teurer ist die Entsorgung von Elektrogeräten, hier bezahlt der Konsument zwischen 50 Rappen für einen Rasierapparat und 28 Franken für eine Tiefkühltruhe. Einzig beim Stoff, den Sie gerade in Händen halten, gilt das Verursacherprinzip nicht. Die Papierbranche, von den Herstellern über die Druckereien bis zu den Zeitungsverlegern, hatte sich erfolgreich gegen eine vorgezogene Entsorgungsgebühr für Papier und Karton gewehrt, aus Angst vor dem Mehraufwand und vor sogenannten Trittbrettfahrern, Unternehmen also, die Papier in Umlauf bringen, ohne die Abgabe zu leisten.

340 Millionen Franken kommen in der Schweiz jedes Jahr an vorgezogenen Recyclinggebühren zusammen – pro Person 45 Franken. Da darf man schon fragen: Ist das Geld gut investiert, lohnt sich der Einsatz für die Umwelt?

Das Instrument, mit dem sich diese Frage beantworten lässt, heisst Ökobilanz. Mit einer Ökobilanz kann die Herstellung eines Produkts aus seinem ursprünglichen Rohstoff mit der Herstellung aus wiederverwertetem Material verglichen werden – nicht nur kurzfristig in ökonomischer Hinsicht, sondern auch langfristig aus einem ökologischen Blickwinkel. Einer breiteren Öffentlichkeit war der Begriff Ökobilanz zum ersten Mal 1982 aufgefallen. Eine originelle Werbekampagne bescherte dem Joghurthersteller Toni dank seinem Mehrwegglas damals grosse Umsätze, und das Land beschäftigte die Frage, ob es ökologischer sei, Joghurts im Glas zu kaufen als im Plasticbecher.

Die Ökobilanz zeigte, dass das Zirkulationsglas dem einmal verwendeten Plasticbecher zwar ebenbürtig, aber nicht überlegen war, was den Energieverbrauch betrifft. Weil Toni das Waschen seiner Joghurtgläser später aufgab, landen sie heute in der Glassammlung und sind damit deutlich unökologischer als die Plasticbecher.

Beim Joghurtglas stand die Energiefrage im Vordergrund. Heute berücksichtigen Ökobilanzen aber noch viele andere Faktoren. Um zu erfahren, ob die Wiederverwertung eines bestimmten Verpackungsmaterials besser abschneidet als die Entsorgung und die Herstellung aus neuen Rohstoffen, werden die Stoffflüsse von der Wiege bis zur Bahre erfasst: Sammlung, Transport und Aufbereitung beim Recycling; Gewinnung, Verarbeitung und anschliessende Verbrennung bei einem neuen Rohstoff.

Dabei kann man ins Staunen kommen, welche Spuren zum Beispiel eine Aludose auf der Welt schon hinterlassen hat, bevor wir sie aus dem Regal nehmen: von der Bodenbelastung durch schwermetallhaltige Bergbauabfälle über den Klimaschaden durch den Ausstoss von CO2 bei der Elektrolyse und dem Schmelzen von Aluminium bis zu Gesundheitsschäden durch den Lärm des vorbeifahrenden Getränkelastwagens. Anders als der Energiebedarf lassen sich diese Faktoren aber nicht einfach addieren. Um die Auswirkungen zu vergleichen, bewertet man sie mit sogenannten Ökoindikatoren oder Umweltbelastungspunkten, die sich aus der Schädlichkeit für die menschliche Gesundheit und für das Ökosystem sowie aus der Ressourcenknappheit ableiten lassen.

Und was sagen die Ökobilanzen nun zur Sammelwut in der Schweiz? Recycling spart Energie: am meisten, nämlich bis zu 95 Prozent, beim Aluminium, am wenigsten, aber immer noch 25 Prozent, beim Glas. Über den Energieaufwand hinaus schneidet Recycling auch deshalb gut ab, weil keine neuen Rohstoffe beschafft werden müssen: kein Bauxit für das Aluminium, kein Erdöl für PET, kein Holz für das Papier.

Mittels Ökobilanzen lässt sich auch die Wiederver­wertung verschiedener Stoffe untereinander vergleichen. ­Welches ist zum Beispiel die ökologisch sinnvollste Getränkeverpackung? Glas, Alu oder PET? In der Studie «Einweg- und Mehrwegverpackungen für karbonisierte Getränke im ökologischen Vergleich» aus dem Jahr 2003 schneidet die Mehrwegflasche aus Glas am besten ab, wenn sie 30 bis 40 Mal befüllt wird, an zweiter Stelle folgen Alu und PET, vorausgesetzt, die Stoffe erreichen eine hohe Recyclingrate. Am Schluss folgt die Einwegflasche aus Glas. Sie ist schwer und benötigt mit 1580 Grad eine viel höhere Temperatur zum Umschmelzen als Aluminium (650 Grad) oder PET (250 Grad), weshalb pro Flasche zehnmal mehr Energie aufgewendet werden muss.

Mehrwegflaschen gibt es im Detailhandel allerdings kaum noch. Glas findet vor allem als Einwegverpackung Verwendung. Das zeigt, dass beim Entscheid, welches Material ein Hersteller einsetzt, die Ökobilanz kaum eine Rolle spielt. Wirtschaftliche und kulturelle Gründe sind offenbar wichtiger. Das Sammeln, Transportieren und Waschen von Mehrwegflaschen ist teuer, und selbst Biowein will niemand aus der Aludose trinken, auch wenn es umweltfreundlicher wäre. Ökologisch die beste Verpackung ist übrigens die, die es nicht braucht. Bei Getränken heisst das: Trinkwasser direkt vom Wasserhahn. Mineralwasser in der Flasche zu kaufen, gehört in die Kategorie der unnötigen Ökosünden.

Glas: Gutmütig, aber energiehungrig

Am 24. November 2008 wurde Neuenhof im Aargau eine ganz besondere Ehre zuteil. Die Glassammelstelle im Dorf, deren Areal der Form einer Flasche nachempfunden ist und bei der sich die Menschen beim Einwerfen des Alt­glases in einem grossen Spiegel sehen können, wurde zur schönsten der Schweiz erkoren. Ihre Container sind im Boden versenkt, damit schon kleine Kinder hier ihre Joghurtgläser einwerfen können; so werden sie zum Recycling erzogen. Knapp 50 000 Franken hat die Altglassammelstelle mit dem kleinen Steingarten gekostet. Mit den 15 Tonnen Glas, die dort jährlich anfallen, verdient die Gemeinde beim derzeitigen Marktpreis von 30 Franken pro Tonne rund 2000 Franken. Hinzu kommen 100 Franken Sammelentschädigung pro Tonne, die aus der vorgezogenen Entsorgungsgebühr finanziert werden. Bis sich die schönste Altglassammelstelle der Schweiz bezahlt macht, dauert es also 25 Jahre, selbst wenn Transport- und Reinigungskosten nicht berücksichtigt werden.

Kein Stoff wird in der Schweiz gewissenhafter gesammelt als Glas. Von den 335 000 Tonnen, die jährlich in Umlauf kommen, landen 90 Prozent in einem Glascontainer. Die offizielle Recyclingquote wird sogar mit 95 Prozent angegeben, was aber irreführend ist: Darin sind auch Tonscherben, Turnschuhe und tote Katzen eingerechnet, die in den Containern landen. Zu den Fremdstoffen, die aussortiert werden müssen, gehören erstaunlicherweise auch Fensterglas und Trinkgläser. Sie haben eine andere chemische Zusammensetzung und verunreinigen das sogenannte Hohlglas der Flaschen beim Umschmelzen.

Glas ist ein gutmütiger Rohstoff. Er kann unendlich oft eingeschmolzen werden, ohne seine Struktur zu verändern. Heikler ist es, die gewünschte Farbe zu erhalten. Weisses und braunes Glas verträgt keine Fehlfarben. Grünglas ist toleranter, weshalb die blauen oder roten Proseccoflaschen in diesen Container gehören. Wegen der Farbwünsche der Getränkeabfüller werden aber auch beim Grünglas nicht mehr als 85 Prozent Altglas eingesetzt, bei weissem und braunem Glas beträgt der maximale Altglasanteil bloss 55 Prozent.

Glas ist schwer, eine Literflasche wiegt über 600 Gramm, 20 Mal mehr als eine vergleichbare PET-Flasche. Ökologisch wäre es deshalb sinnvoll, das gesammelte Material nicht über grosse Distanzen zu transportieren. Trotzdem verarbeitet die letzte Glashütte der Schweiz in St-Prex, die ausschliesslich grüne Flaschen herstellt, nur einen Viertel des einheimischen Altglases. Über die Hälfte gelangt ins Ausland. Die verbleibenden 20 Prozent werden im Inland verarbeitet, mehrheitlich zu Dämmstoffen: Schaumglasschotter, der im Bau zur Isolation eingesetzt wird. Noch vor ein paar Jahren wurde fast ein Drittel des Altglases zermahlen und als billiger Sandersatz im Strassenbau verwendet.

PET: Leicht und praktisch, aber zu oft im Abfall

In der Schweiz kamen die ersten PET-Flaschen 1984 in Umlauf. Damals bestellte die Swissair bei Henniez Mineralwasser für ihre Passagiere. Weil in einem Flugzeug jedes Kilogramm zählt, entschied sich die Airline für Flaschen aus dem leichten Polyethylenterephthalat. Entwickelt worden war das Material, für das pro Kilo 1,9 Kilo Rohöl benötigt werden, bereits in den 1940er Jahren als Kunstfaser für die Textilindustrie.

Das geringe Gewicht machte PET schnell attraktiv, und heute hat der Kunststoff die Glasflasche bei Mineralwasser und Süssgetränken weitgehend verdrängt. Anders als Aludosen lassen sich PET-Flaschen wieder verschliessen und eignen sich deshalb zum Mitnehmen. Darin liegt aber auch ihr Problem: Pro Person landen jährlich 30 Flaschen nicht in der PET-Sammlung, sondern im Abfall.

Von den 1,2 Milliarden PET-Flaschen, die jedes Jahr in der Schweiz verkauft werden, wird jede fünfte weggeworfen. Um die vom Bund verlangte Mindestrückgabequote von 75 Prozent zu erreichen, wurden in der Schweiz über 40 000 PET-Container aufgestellt. Vor drei Jahren hat man es zum ersten Mal geschafft; wäre es nicht gelungen, hätte der Bund seine Drohung wohl wahrgemacht und eine Pfandpflicht eingeführt. Weil dies mit grossem Mehraufwand verbunden ist, fürchtet der Handel das Pfand wie der Teufel das Weihwasser.

Alles, was in der Schweiz mit PET zu tun hat, wird durch den Verein PET-Recycling Schweiz (PRS) finanziert – ein Unternehmen, in dem 18 Mitarbeiter dem PET-Recycling mit planwirtschaftlicher Gründlichkeit zu Leibe rücken. Das eingesammelte Material bleibt im Besitz des PRS, bis es nach der Auf­bereitung weiterverkauft wird. Aus dem Materialerlös (11 Millionen Franken) und den Einnahmen aus der vorgezogenen Abgabe von 1,8 Rappen pro Flasche (24 Millionen) werden Container, Transport, Sortierung und Aufbereitung bezahlt. Die Beträge sind nicht zufällig festgelegt, das Modell ist vielmehr so konzipiert, dass rezykliertes PET 20 Prozent unter dem Marktpreis für Neumaterial produziert werden kann.

Geplant wird auch die Kapazität der Sortieranlagen. Derzeit gibt es fünf davon. Wenn die Betriebe an ihre Grenze stossen, sitzen die Verantwortlichen zusammen, um die Erweiterung zu planen. Damit die Betreiber ihre Investitionen wieder einspielen können, schliesst PRS langfristige Abnahmeverträge ab. In Frauenfeld steht zum Beispiel die modernste Sortieranlage Europas. Pro Sekunde kann sie bis zu 30 Flaschen nach Farben und Material unterscheiden. Fremdstoffe und Öl- und Essigflaschen werden aussortiert. Obwohl auch sie aus PET bestehen, gehören sie in den Abfall, weil die Restflüssigkeit den Verarbeitungsprozess belastet.

Nur ein Drittel des gesammelten PET ersteht aber als Flaschen auf, ausschliesslich transparentes Material. Die anderen Farben landen vor allem in der Textil- und Folienproduktion, wo sie zum Beispiel für Faserpullover oder Rucksäcke verwendet werden. Ob sich PET immer wieder zu Flaschen umschmelzen lässt, darüber sind sich die Fachleute nicht einig. Der Kunststoff wird erst seit dem Jahr 2000 für das Flaschenrecycling verwendet – zu wenig lang, um sicher zu sein, dass bei mehrfacher Wiederverwertung keine Verluste auftreten.

Eine andere, an sich positive Entwicklung macht PET-Recycling unwirtschaftlicher: Die Flaschen werden immer leichter. Da der Sammelaufwand pro Flasche aber der gleiche bleibt und der Materialertrag sinkt, steigen die Kosten pro eingesammelte Tonne. Dabei wird schon heute viel Luft transportiert – daran haben auch die Kampagnen, die das Flachdrücken der Flaschen vor dem Wegwerfen propagieren, nichts geändert.

Alu: Verrufen, aber brav gesammelt

Beinahe wäre die Schweiz zur aludosenfreien Zone geworden. Vor 20 Jahren forderte Bundesrat Flavio Cotti ein Verbot der Getränkedosen. Die unter seiner Führung erstellte Verordnung zu Getränkeverpackungen hatte allerdings nicht nur Aluminium im Visier – generell sollte die Verbreitung von Einwegverpackungen gestoppt werden. Denn Aluminium drohte zusammen mit PET die etablierten Mehrweggebinde aus Glas zu verdrängen. Cotti wollte den Anteil der Getränkemenge, die in Einwegflaschen angeboten wurde, von damals 15 Prozent um die Hälfte reduzieren.

Die Welt hat sich anders entwickelt. Cottis Verordnung wurde überarbeitet, das Aluverbot gestrichen, die Getränkebranche organisierte ein Sammelsystem, um die bescheidene Recyclingquote von 20 Prozent zu steigern. Heute werden von den 450 Millionen Aludosen, die jährlich in den Handel kommen, 90 Prozent gesammelt. Der Anteil der Einwegverpackungen ist in der gleichen Zeit auf 80 Prozent gestiegen.

Vorbehalte gegen Aluminium halten sich hartnäckig, obwohl das Verpackungsmaterial bei hoher Recyclingquote die Umwelt nicht mehr belastet als PET- oder Glasflaschen. Biologische Getränke dürfen nicht in Aludosen abgefüllt werden, steht in den Richtlinien der Vereinigung der Schweizer Biolandbauorganisationen. Die Migros bietet Getränke nur dann in Aludosen an, «wenn es sich nicht vermeiden lässt». Lange Zeit hatte der Grossverteiler sogar ganz auf die Dosen verzichtet, bis 2003 stand keine einzige im Regal. Die wachsende Sammelquote führte zum Umdenken. Und angesichts des Booms, den Red Bull erlebte, wollte die Migros das Geschäft mit den Energydrinks nicht einfach der Konkurrenz überlassen.

Bis wir eine Dose in der Hand halten, legt Aluminium Tausende von Kilometern zurück. In Australien oder Brasilien wird der Rohstoff abgebaut, in Deutschland zur Dose verarbeitet, in der Schweiz abgefüllt. Wird die Dose korrekt entsorgt, geht die Reise weiter zur Aufbereitung in ein Aluwerk, etwa nach Italien, Deutschland oder Grossbritannien; der einzige Schweizer Recyclingbetrieb für Alu, Refonda in ­Niederglatt, wurde 1992 geschlossen. Zu Barren geformt, gelangt das Material dann weiter, vielleicht nach Deutschland, um erneut zu einer Dose gepresst zu werden, die wieder in die Schweiz gelangt – und so weiter. Wie Glas lässt sich Aluminium beliebig oft umschmelzen.

Ob Aluminium als Verpackung umweltverträglich ist oder nicht, hängt von einer einzigen Zahl ab: der Sammelquote. Kein Verpackungsstoff benötigt für die erstmalige Herstellung so viel Energie. Und bei keinem Stoff lässt sich durch Recycling mehr Energie sparen, bis 95 Prozent. Pro Jahr werden 5000 Tonnen an leeren Getränkedosen eingesammelt. Die Ermittlung der Sammelquote ist aufwendig: Man erfasst einerseits bei allen Händlern die Verkaufs­zahlen, andererseits bei allen Altstoffhändlern die Sammelmengen. Anhand von Stichproben bestimmt ein Umweltbüro mit Unterstützung der ETH den Anteil der Getränkedosen im gesammelten Material. Den rechnet man auf die gesamte Menge hoch und setzt ihn ins Verhältnis zur verkauften Menge. Das ergibt die Sammelquote von gegenwärtig 90 Prozent.

Nachgezählt wurden auch die 40 000 Alubecher von Votivkerzen, die die Benediktinermönche im Kloster Disentis sammelten, was ihnen den Titel «Schweizer Meister im Alusammeln» eintrug. So hoch wie bei den Getränkedosen ist die Sammelleidenschaft bei den anderen Aluverpackungen aber nicht. Von den 1200 Tonnen, die in Form von Senftuben, Katzenfutterschalen oder Joghurtdeckeln in den Handel kommen, landet ein Viertel im Abfall, vielleicht auch, weil viele Leute nicht wissen, dass die Verschmutzung beim Alu-Recycling unerheblich ist: Die hohen Temperaturen beim Einschmelzen brennen alle Reste weg. Aber die Zahl ist nur eine Schätzung, weil die Hersteller dieser Produkte nicht melden müssen, wie viel sie verkaufen. Noch tiefer liegt die Sammelquote bei den Nespresso-Kapseln; Nestlé beziffert sie mit 60 Prozent.

Gesammelt wird Aluminium von den Gemeinden oft zusammen mit Konservenbüchsen aus verzinntem Stahlblech. Während der Verbrauch von Alu wächst, bleibt jener von Konservenbüchsen konstant bei jährlich 16 000 Tonnen, rund 200 Millionen Stück. 80 Prozent davon werden gesammelt, Zinn und Stahl anschliessend getrennt und separat wiederverwertet. Die Schrotthändler haben gemerkt, dass es zuverlässiger ist, Aludosen und Konservenbüchsen mit grossen Magneten in der Aufbereitungsanlage zu trennen, als dies den Sammlern zu überlassen. Vor dem Container stehend, vermochten offenbar viele die beiden Stoffe nicht zu unterscheiden (Aluminium ist im Gegensatz zu Stahlblech nicht magnetisch).

Papier: Im Überfluss vorhanden, aber begrenzt haltbar

Seit Oktober 2008 ist es schwierig, Altpapier zu verkaufen. Die Nachfrage der Papierfabriken ist stark zurückgegangen, die Schweizer Altpapierhändler sind gezwungen, das Papier zu lagern. Bei Händlern, die nicht genügend Lagerraum haben, droht der Rohstoff im Freien zu verfaulen. Dass die Wirtschaftskrise und der Einbruch des Altpapiermarktes zusammenfallen, ist kein Zufall. Die Sekundärrohstoffe hängen direkt vom Lauf der Wirtschaft ab. Drosseln die Automobilhersteller die Produktion, bleiben Altmetallhändler auf ihrer Ware sitzen. Schalten Unternehmen ­weniger Inserate, werden die Zeitungen dünner, und da sie zu 80 Prozent aus Altpapier bestehen, geht der Bedarf daran zurück. Der Preis für Altpapier ist seit September 2008 um mehr als die Hälfte auf noch 70 Franken pro Tonne ge­sunken.

Papier ist zudem ein heikler Rohstoff. Bleibt es lange liegen, werden seine Fasern brüchig, der Ausschuss bei der Wiederaufbereitung wird grösser. Ideal wäre ein Umlauf in vier bis sechs Monaten: von der Papierfabrik zur Druckerei, in den Briefkasten, gebündelt an die Strasse, zum Altpapierhändler und wieder zurück in die Fabrik. 45 verschiedene Sorten gibt es, von der Sorte «ordinär» (Papier und Karton gemischt) bis zu den gesuchten Couvertspänen, dem beim Stanzen entstehenden Ausschuss. Nicht alle sind gleich stark vom Abschwung betroffen. Besonders ungemütlich ist die Situation derzeit beim Karton: Statt Geld zu erhalten – in den besten Zeiten 100 Franken pro Tonne –, müssen die Gemeinden nun bis zu 80 Franken bezahlen, damit ihnen ein Händler den Karton abnimmt. Noch vor einem Jahr hatten deutsche Altpapierhändler in der Schweiz nach dem begehrten Rohstoff gesucht und angefragt, ob sie eigene Sammelbehälter aufstellen dürften.

Das Sammeln des Altpapiers besorgen in der Schweiz vielerorts Sportvereine – womit die Gemeinden indirekte Sportförderung betreiben: Die Entschädigung an die Vereine liegt in der Regel über dem Preis, den die Gemeinden von den Papierhändlern erhalten. Regnet es vor oder während der Sammlung, freuen sich die Finanzverwalter der Gemeinden. Die Händler vergüten das Material nach Gewicht, wird es nass angeliefert, steigt der Preis um 5 bis 10 Prozent.

Von keinem anderen Stoff wird mehr gesammelt: jedes Jahr 1,3 Millionen Tonnen Papier und Karton. Aber wer seine Zeitungen ordentlich gebündelt an die Strasse stellt, sollte sich nicht der Illusion hingeben, sie würden auch tatsächlich vollständig zu Recyclingpapier verarbeitet. In der Papierfabrik Utzenstorf zum Beispiel landen 20 Prozent der angelieferten Menge im Ofen, Einkaufstaschen aus Papier zum Beispiel; sie werden chemisch so behandelt, dass sie reiss- und wetterfest sind, was sie unbrauchbar macht für die Wiederverwertung. In Zeitschriften eingeklebte CD und Büroklammern müssen aussortiert werden. Fenstercouverts sind nur in kleinen Mengen willkommen – nicht wegen der Kunststofffolie, die lässt sich einfach entfernen, sondern wegen des Leims, der zum Kleben der Folie verwendet wird. Und auch ein Teil der Papierfasern selbst wird vernichtet, denn anders als Aluminium oder Glas lässt sich Papier nicht beliebig oft wiederverarbeiten.

Nach sechs oder sieben Durchläufen ist Schluss, dann sind die Papierfasern zu kurz und werden aussortiert und verbrannt. Beim Papiersammeln sind die Schweizer mit einer Quote von über 80 Prozent europäische Spitzenreiter. Keine Spitzenleistung erbringt die Schweiz jedoch bei der Verwendung des Altpapiers – mehr als ein Drittel davon wird exportiert. Seit 2000 sind in der Schweiz sechs Fabriken eingegangen, die Altpapier oder Karton verwendeten, übrig blieben fünf Papierfabriken und eine Kartonfabrik.

Elektroschrott: Wertvoll, aber schwierig im Umgang

Die Einbrecher kletterten über den Zaun und stiessen das Tor des Containers auf, in dem die Fernsehgeräte gelagert wurden. Wie viele entwendet wurden, kann Peter Schär nicht sagen. Denn es wurden keine brandneuen Flachbildschirme gestohlen, und der Diebstahl fand nicht im Lager eines Elektronikhändlers statt, sondern im Werdhölzli, einem Zürcher Recyclinghof. Dort wurden die alten Apparate gestapelt, bevor sie ein Verwerter abholte. Seit dem Einbruch ist der Container mit einem Schloss gesichert. Auch Kurt Kohler von der Firma Maag Recycling in Winterthur hat Massnahmen ergriffen: Nachdem ein paar Tonnen Kupfer entwendet worden sind, kontrolliert nun eine Sicherheitsfirma das eingezäunte Areal.

Kupfer erzielte 2008 Höchstpreise. Inzwischen ist der Preis von 10 auf 4 Franken pro Kilogramm gesunken und damit auch das Diebstahlrisiko. Alte Fernsehgeräte lassen sich weniger gut weiterverkaufen als Kupfer. Was noch funktioniert, wird vielleicht über das Internet angeboten. Doch in der Regel ist es umgekehrt: Man bezahlt dafür, die alten Geräte los zu werden. Die vorgezogene Recyclinggebühr – 2 Franken für die kleinsten, 20 Franken für die grössten Fernsehgeräte – soll die Wiederverwertung sicherstellen. Im Gegenzug sind die Händler verpflichtet, gebrauchte Fernseher zurückzunehmen. Von dort oder von Sammelstellen der Gemeinden gelangt die Ware zu einer Entsorgungsfirma. Pro Tonne Unterhaltungselektronik erhält sie 260 Franken.

Dosen oder Tuben aus Aluminium können zusammen eingeschmolzen werden, bei Glas oder PET hängt die Wiederverwertung bloss von der Farbe ab. Bei elektrischen und elektronischen Geräten ist das komplizierter. Darum gibt es dafür auch zwei Recyclingorganisationen. Die eine, Swico, kümmert sich um Elektronik, also Computer, Fernseher oder Mobiltelefone; innert acht Jahren ist die entsorgte Menge um den Faktor fünf auf 50 000 Tonnen gestiegen.

Die andere Organisation, Sens, ist für Elektroschrott zuständig; bei ihr fällt etwa die gleiche Menge an, von Modellautos über Bohrmaschinen bis zu Racletteöfen und Kühlschränken. Weltweit ist Elektro- und Elektronikschrott die am schnellsten wachsende Abfallkategorie. Die Liste mit den Recyclinggebühren ist endlos: Über 250 Kategorien gibt es bei den Elektronikgeräten, vom Aktenvernichter bis zur Zimmerantenne; gar 400 Positionen gab es bis vor kurzem bei den Elektrogeräten. Inzwischen werden die Tarife nach dem Gewicht bestimmt, was das Verzeichnis von 30 auf 4 Seiten schrumpfen liess.

Ebenso gross wie der bürokratische Aufwand ist der technische, zum Beispiel für die fachgerechte Zerlegung eines Laptops. Bei der Firma Immark in Regensdorf werden zuerst von Hand problematische Stoffe wie Batterien und Akkus entfernt. Der Bildschirm wird auseinandergeschraubt, weil die Hintergrundbeleuchtung giftiges Quecksilber enthält, das ebenfalls separat entsorgt werden muss. Der Rest kommt in den Schredder. Der zertrümmerte Schrott läuft danach über ein Förderband, die eisenhaltigen Teile werden mit Magneten getrennt, kupferhaltige Kabel und Leiterplatten von Hand. Die Platinen, der interessanteste Teil, werden an ausländische Schmelzwerke geliefert, die daraus Gold, Silber und Palladium herauslösen. Am Schluss, nach mehreren Durchgängen durch den Schredder, bleiben bei Immark drei körnergrosse Substanzen übrig: schadstoffhaltige Kunststoffe, die verbrannt werden, sowie brauchbare Kunststoffe und Metalle, die ins Schmelzwerk gelangen.

Der Aufwand schlägt sich im Preis nieder. Eine Tonne Elektronikschrott zu entsorgen, kostet 645 Franken, bei Elektrogeräten sogar 704 Franken. Die grossen Gerätehersteller beobachten die Kosten genau – weil das System auf freiwilliger Basis funktioniert, könnten sie jederzeit aussteigen und eine eigene, günstigere Entsorgungsorganisation aufbauen. Ein Teil des Elektroschrotts wird bereits ins Ausland entsorgt, im Jahr 2008 zum Beispiel nach Deutschland, wo 6500 Kühlschränke wiederverwertet wurden – ein bescheidener Anfang.

Die Recyclingquote bei Elektronik- und Elektroabfall zu bestimmen, ist schwierig. Anders als Aludosen oder PET-Flaschen werden die Geräte nicht sofort verbraucht. Deshalb vergleicht man die gesammelte Menge nicht mit den aktuellen Verkäufen, sondern mit der acht Jahre zuvor verkauften Menge. Acht Jahre, nimmt man an, werden die Geräte im Schnitt benutzt. Nach dieser Erhebungsmethode werden 85 Prozent der Elektronikgeräte wiederverwertet. Deutlich weniger ist es bei den Mobiltelefonen; davon werden, bei einer geschätzten Lebensdauer von eineinhalb Jahren, nur gerade 15 Prozent wieder eingesammelt.

Wie gross der Recyclinganteil bei den Elektrogeräten ist, wird nicht ausgewiesen. Bei Stromsparlampen ist der Rücklauf laut Angaben der Sens «völlig unzureichend». Neonröhren würden in «ausreichendem Mass» bei Geschäften oder an öffentlichen Entsorgungsstellen zurückgegeben. Wegen der darin enthaltenen Schwermetalle müssen beide als Sondermüll beseitigt werden, gewöhnliche Glühbirnen und Halogenlampen können in den Kehricht geworfen werden.

Ungenügend ist die Rückgabequote bei den Lampen selbst. Weil viel mehr Neonleuchten verkauft als sachgemäss entsorgt werden, können die Entsorgungsgelder, die beim Kauf bezahlt werden müssen, nicht ausgegeben werden. Rund 10 Millionen Franken sammelten sich bis Ende 2008, das 14-Fache des Betrages, der jährlich für die Ent­sorgung ausgegeben wird. Immerhin, versichern die Verantwortlichen, habe der Fonds dank einer vorsichtigen ­Anlagestrategie die Finanzkrise ohne grössere Verluste überstanden.

Im Kehrichtsack: der Abfall des Abfalls

Am Schluss, daran ändern weder Gebühren noch Werbekampagnen, weder Umwelterziehung noch die schönste Altglassammelstelle der Schweiz etwas, am Schluss bleibt ein Rest Abfall übrig, der nicht wiederverwertet wird. Sei es, weil er verunreinigt oder mit anderen Materialien vermischt ist, sei es, weil er – wie an vielen Orten der Kompost – nicht getrennt gesammelt oder nicht zur Sammelstelle gebracht wird. 353 der 709 Kilogramm Abfälle pro Kopf landen jedes Jahr im Abfallsack und werden verbrannt. Das sind 70 Säcke zu 35 Litern (die im Schnitt 5 Kilo enthalten).

Was sich darin findet, weiss keiner besser als Markus Christen – er hat es mit eigenen Händen verlesen: über 6000 Abfallsäcke aus der ganzen Schweiz, 32 Tonnen Abfall, zehn Wochen lang. Die archaische Arbeit, vom Bundesamt für Umwelt alle zehn Jahre unter dem nüchternen Titel «Erhebung der Kehrichtzusammensetzung» in Auftrag gegeben, fand letztmals im November 2001 und im Mai 2002 statt. Dem zwölfköpfigen Team, das Christen als Co-Leiter eines Luzerner Umweltbüros für die Sortierung zusammenstellte, gehörten neben Künstlern auch eine Hebamme und eine arbeitslose Pilotin an.

«Zuerst brauchte es Überwindung», erinnert sich Christen, «doch wir haben uns erstaunlich rasch daran gewöhnt.» Die Säcke wurden aufgeschlitzt, der Inhalt auf grossen Tischen ausgebreitet, dann wurde Stück um Stück einer der 18 definierten Kategorien zugeordnet, Katzenstreu zu den Mineralien, Windeln zu den übrigen Verbundwaren, Knochen und Hundehaare zu den organischen Naturprodukten. Zuletzt blieben die kleinsten Teile übrig, Kaffeesatz, Papierfetzen oder Kunststoffteile, dieser Rest machte 2 Prozent der gesamten Menge aus, den Abfall des Abfalls. Am meisten überraschte Christen die Qualität der weggeworfenen Lebensmittel. «Wir hätten uns während der ganzen Zeit problemlos davon ernähren können.»

Der grösste Teil des Siedlungsabfalls, im Durchschnitt 27 Prozent, entfiel auf die sogenannten biogenen Abfälle, nebst verpackten Lebensmitteln vor allem Speisereste sowie Küchen- und Gartenabfälle. Von den 33 untersuchten Gemeinden wurde nirgends mehr Grünabfall weggeworfen als in Basel: 40 Prozent machte dort der Anteil aus, der in der Kehrichtverbrennung endet und als Strom oder Wärme genutzt wird. Das organische Material geht bei diesem Entsorgungsweg verloren. Die Energie aus biogenen Abfällen lässt sich auch mittels Vergärung zu Biogas gewinnen; das Gärgut kann anschliessend als Dünger genutzt werden. Bei der Kompostierung, der dritten Methode, bleibt der Stoffkreislauf ebenfalls geschlossen, aus dem Abfall wird Komposterde.

Welches der drei Verfahren das umweltfreundlichste ist, darüber sind in den letzten Jahren mehrere sich widersprechende Studien gemacht worden. Und auch die jüngste Ökobilanzierung, die das Basler Amt für Umwelt und Energie in Auftrag gegeben hat, liefert keine einfachen Antworten: Je nach konkreter Zusammensetzung des Grünabfalls schneidet mal die eine, mal eine andere Methode am besten ab. Bei Baumschnitt lässt sich in einer Kehrichtverbrennung, ein hoher Wirkungsgrad vorausgesetzt, am meisten Energie gewinnen, für Küchenabfälle eignet sich die Vergärung, und der Komposthaufen ist ideal für eine Mischung aus nassem und holzhaltigem Material. Werden die biogenen Abfälle gemeinsam eingesammelt, ist das Ergebnis bei allen drei Verfahren ähnlich – und im Vergleich zur separaten Behandlung schlechter.

Billiger wäre es, Küchenabfälle zu vergären. Der Schweizerische Verband der Kompostier- und Vergärwerke veranschlagt 125 Franken pro Tonne, gegenüber 180 Franken in einer Kehrichtverbrennung. Dazu kommt noch der Aufwand, die Küchenabfälle getrennt zu sammeln, und weil dieser hoch ist, schreckt das viele ab. Dass für zusätzliche Container, die für eine effiziente Sammlung nötig sind und regelmässig gereinigt werden müssen, in grösseren Städten der Platz fehlt, ist nicht der einzige Grund, weshalb etwa Basel oder Zürich noch immer auf die Verbrennung setzen. Die dortigen Kehrichtverbrennungen verfügen über einen hohen Wirkungsgrad, gewinnen also viel Energie aus dem organischen Material. Trotzdem steigt der politische Druck, für die Vergärung der Küchenabfälle eine zusätzliche Sammlung zu organisieren; Basel plant einen Pilotversuch, in Zürich läuft bereits ein Test. Kleinere Städte oder Gemeinden setzen schon länger auf die Vergärung, seit dem Jahr 2000 sind in der Schweiz vierzehn Anlagen gebaut worden. Diesen Herbst geht in Volketswil eine neue in Betrieb, zehn weitere sind in Planung.

Christens unappetitliche Arbeit zeigte auch, dass sich die Sammeldisziplin noch verbessern liesse: Ein Fünftel von dem, was er und sein Team in den Abfallsäcken fanden, war Papier und Karton, auch 4 Prozent Glas waren darunter. In Gemeinden ohne Sackgebühr landet die doppelte Menge dieser Stoffe im Kehrichtsack. Aber auch die Produkte selbst setzen dem Recycling Grenzen: Ein wachsender Teil des Abfalls, fast 20 Prozent, entfällt auf Verbundwaren: Werkzeuge, Sonnenbrillen oder Verpackungen, die aus verschiedenen Materialien bestehen und sich deshalb nicht direkt verwerten lassen.

Abfall brennt gut. In einem 35-Liter-Sack steckt die Energie von 1,7 Litern Heizöl. Der Energiegehalt entspricht damit jenem von Braunkohle. Von Verbrennen spricht allerdings kaum noch jemand in der Branche. Obwohl sich ­jedermann beim Besuch einer Kehrichtverbrennungsanlage davon überzeugen kann, dass es da drin brennt, sprechen die Experten heute aus Imagegründen lieber von «thermischer Verwertung», die Kehrichtverbrennungsanlagen heissen Kehrichtheizkraftwerke.

Die 29 Anlagen der Schweiz liefern knapp 3 Prozent des Energiebedarfs des Landes. Wärme und Strom aus Kehrichtverbrennung gilt zur Hälfte als CO2-neutral, weil rund die Hälfte des Heizwertes aus biogenem Material stammt; dieses hat das CO2 zuvor aus der Atmosphäre aufgenommen, bei der Verbrennung entsteht also kein zusätzliches Klimagas. Abfall ist nach der Wasserkraft der zweitwichtigste Lieferant erneuerbarer Elektrizität, deutlich vor Solarstrom oder Windenergie.

Dass Abfall ein begehrter Brennstoff ist, hat betriebswirtschaftliche Gründe. Um eine Anlage kostendeckend zu betreiben, sollte sie Tag und Nacht laufen, also möglichst zu 100 Prozent ausgelastet sein. Weil der Siedlungsabfall nicht ausreicht, um sämtliche Anlagen voll auszulasten, suchen die Betreiber das Material vermehrt im Ausland. Seit 2003 hat sich die importierte Menge auf 340 000 Tonnen versechsfacht, wozu vor allem das seit 2005 geltende Ablagerungsverbot in Deutschland geführt hat.

Die Abfallimporte aus den Nachbarländern wären wahrscheinlich noch grösser, hätten sich nicht zwei neue Quellen im eigenen Land erschliessen lassen: der Schlamm aus Kläranlagen und die nichtmetallischen Abfälle aus der Autoverschrottung. 100 000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr dürfen seit Herbst 2006 aus Angst vor Schadstoffen und Krankheitserregern nicht mehr als Dünger verwendet werden. Beim Schreddern ausgedienter Fahrzeuge anfallender Kunststoff und Gummi, sogenannter Auto-Resh, steuern im Jahr weitere 18 000 Tonnen Brennmaterial bei.

Weder aus den Augen, noch aus dem Sinn: Zwar schrumpft das Abfallvolumen in einem Verbrennungsofen auf einen Zehntel, auch geht organisches Material, also Kunststoffe, Öl, Textilien oder Speisereste, in Form von Kohlendioxid in Luft auf. Doch mit mineralischen Stoffen wie Glas oder Keramik passiert bei den im Feuerraum herrschenden 900 Grad so gut wie nichts, auch viele Metalle überstehen die Prozedur fast unverändert. Zurück bleibt die Schlacke, eine graue Masse aus Scherben und Metallstücken, die noch ein Fünftel des verbrannten Abfalls wiegt. Jährlich werden fast 800 000 Tonnen davon deponiert. Weitere 2 Prozent des Abfalls, darunter giftige Schwermetallverbindungen, bleiben in den Rauchgasfiltern hängen; ein Teil dieser Filterasche wird in alten deutschen Salzbergwerken endgelagert.

Der Metallgehalt der Schlacke ist hoch. Der Anteil an Eisenschrott beträgt fast 10 Prozent, übrige Metalle wie Kupfer oder Aluminium machen 2 Prozent aus, ihre Rückgewinnung gehört deshalb vielerorts zum Standard. Eisen wird mit Magneten separiert, die anderen Metalle mit Wirbelstromabscheidern und Sensorsortierern. Selbst Kleinteile wie Bostitchklammern oder Hosenknöpfe lassen sich damit erkennen. Das will man sich auch bei einem Problemstoff zunutze machen, den Batterien. Trotz regelmässigen Informationskampagnen landet noch immer ein Drittel aller Batterien im Abfall, 1200 Tonnen pro Jahr, darunter auch schädliche Schwermetalle wie Blei oder Cadmium. Deshalb wird nun ein Verfahren entwickelt, um Batterien aus der Schlacke zu trennen.

Wenn die nachträgliche Sortierung so gut funktioniert, weshalb werden Metalle dann überhaupt separat eingesammelt? Diese Frage, letztes Jahr von einem Fachhochschulprofessor für Umwelttechnik aufgeworfen, wurde in der Abfallbranche als Provokation aufgefasst. Der blosse Gedanke, Blechbüchsen, aber auch Bügeleisen oder Rasierapparate in den Müll zu werfen und die Metalle nachher aus der Schlacke zu holen, wurde als Angriff auf die jahrzehntelang eingeübte Sammeldisziplin verstanden.

Technisch ist es heute möglich, die in Heimarbeit betriebene Abfalltrennung ganz abzuschaffen. Vollautomatische Sortieranlagen sind in der Lage, den zuvor geschredderten Müll nach Papier, Kunststoffen, Metallen und Glas zu separieren. Was sich davon auch wirtschaftlich umsetzen lässt, wird zurzeit im deutschen Kassel erprobt. Seit einem Jahr müssen die Bewohner eines Quartiers nur noch zwischen zwei verschiedenen Tonnen unterscheiden, nass für Windeln oder Speisereste, trocken für den Rest, von der Aludose bis zum Bügeleisen. Ob sich der Einsatz von Sortiermaschinen lohnt, hängt davon ab, welcher Erlös sich mit dem Verkauf der separierten Stoffe erzielen lässt. Dies zu berechnen, ist aufwendig, weshalb der Test in Kassel verlängert werden musste. Doch auch wenn das System in der ganzen Stadt eingeführt wird – das Ende der Separatsammlung, wie das Projekt angepriesen wird, ist damit nicht eingeläutet. Papier, Glas und Textilien werden weiter getrennt abgeholt, weil die Verwerter der Wertstoffe das so wollen.

Der Abfall kann von Hand sortiert werden oder vollautomatisch: Die Abfallentsorgung hat ihren Preis. Pro Jahr kostet es in der Schweiz 900 Millionen Franken, den Müll einzusammeln, zu trennen oder zu verbrennen. Billiger und auch umweltfreundlicher wäre es, die Produkte so zu gestalten, dass von Anfang an weniger Abfall entsteht. Dieses Ziel verfolgte Bundesrat Flavio Cotti 1989. Angesichts der wachsenden Abfallberge wollte er nicht nur die Aludosen verbieten, auch der Gebrauch von Einwegflaschen sollte begrenzt werden und der Papierverbrauch durch «Gratiszeitungen und aufwendige Prospekte». Er hatte keinen Erfolg. Die Schweiz entschied sich dafür, die Abfallberge in Kauf zu nehmen und dafür zum Musterschüler in Sachen Recycling zu werden. Es blieb kaum eine andere Wahl. Die Bundesverfassung garantiert die Handels- und Gewerbefreiheit; und die erlaubt, dass jeder Stoff als Verpackung eingesetzt werden darf, der die Normen des Lebensmittelrechts erfüllt.

«Die Recycler sind die Alchemisten des 21. Jahrhunderts, sie beherrschen die perfekte Kunst, aus Weggeworfenem, Wertlosem das Wertvolle zu schaffen» – mit so viel Pathos umschreibt eine der vielen Sammelorganisationen der Schweiz ihre Tätigkeit. Aber ist jemand, der seinen Abfall fein säuberlich trennt, wirklich ein Umweltschützer? Andreas Diekmann, Soziologieprofessor an der ETH Zürich, hat für den Umweltsurvey 2007, das Standardwerk zum Schweizer Umweltbewusstsein, über 3300 Personen befragt. Sein Fazit: «Wer Recycling gewissenhaft betreibt, lebt nicht unbedingt umweltbewusster.» In seiner Untersuchung zeigte sich etwa, dass umweltbewusstes Verhalten beim Recycling nicht einhergeht mit einer ökologischen Einstellung zur Mobilität.

Der Widerspruch wird beispielsweise beim Vergleich zwischen Stadt und Land deutlich. Ländliche Haushalte trennen den Müll konsequenter als städtische. Wer auf dem Land lebt, legt aber nicht nur längere Distanzen im Auto zurück, was mit einem geringeren Angebot an öffentlichem Verkehr zu erklären wäre, er besitzt zudem ein Fahrzeug mit einem überdurchschnittlichen Benzinverbrauch. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Wir sind vor allem dann Umweltschützer, wenn wir dafür keinen grossen Aufwand betreiben müssen. Wir bündeln das Papier und sammeln die Gurkengläser, weil es einfach ist. Auf Ferien in Griechenland oder auf den Wochenendtrip nach London verzichten wir aber nur ungern, weshalb wir regelmässig ins Flugzeug steigen, Umweltbewusstsein hin oder her. So gesehen wird Recycling zum Schmiermittel der Konsumgesellschaft – je besser das Entsorgungssystem funktioniert, desto unbeschwerter wird eingekauft.